Mit blauer Farbe gegen Alzheimer: Methylenblau in der Forschung

Portrait des Alzheimer Forschers Prof. Dr. Roland Brandt
Prof. Dr. Roland Brandt, Universität Osnabrück
  |   Forschung

Schon seit längerem wird am Farbstoff „Methylenblau“ und seiner Rolle bei der Alzheimer-Krankheit geforscht. Der seit Ende des 19. Jahrhunderts bekannte, gängige Farbstoff für Laborexperimente färbt Nervenzellen blau und wird auch in der Medizin, zum Beispiel in der Malariatherapie, verwendet. Doch wie ist der aktuelle Stand bei der Alzheimer-Forschung? Die neuen Ergebnisse kommentiert Prof. Dr. Roland Brandt.

Hintergrund: Tau-Proteine und Alzheimer

Die Ablagerung von Tau-Verklumpungen im Inneren von Nervenzellen ist untrennbar mit der Alzheimer-Krankheit verbunden. Diese Tatsache wurde bereits vor über 100 Jahren vom bayrischen Neurologen Alois Alzheimer entdeckt. Tau-Fibrillen oder Tangles sind unauflösliche, gedrehte Fasern aus Tau-Protein. Normalerweise nimmt das Tau-Eiweiß eine wichtige Funktion ein, da es Teile einer Struktur formt, die beim Transport von Nährstoffen und anderen wichtigen Substanzen in der Nervenzelle hilft. Gemeinsam mit den Plaques, das sind Verklumpungen aus Beta-Amyloid-Eiweiß, sind die Tangles charakterisierend für die Alzheimer-Krankheit.

Krankhaft veränderte Tau-Proteine können nicht nur bei Alzheimer-Patienten nachgewiesen werden, sondern bereits bei Kindern und jungen Erwachsenen. „Offenbar beginnen die Alzheimer-typischen Veränderungen im Hirnstamm und breiten sich wie eine Dampflok langsam und unaufhaltsam von Nervenzelle zu Nervenzelle aus. Krankheitsanzeichen wie Vergesslichkeit oder Orientierungsschwierigkeiten treten jedoch erst nach Jahrzehnten auf“, erklärte der Anatom und Professor Dr. Heiko Braak auf einer Veranstaltung der Alzheimer Forschung Initiative e.V. (AFI). Der Ulmer Tau-Experte hatte bereits vor Jahren das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit mit der Häufigkeit der Fibrillen in Verbindung gebracht und damit eine bis heute gültige Lehrmeinung zur Einteilung der Alzheimer-Krankheit in verschiedene Stadien geschaffen, die so genannten Braak-Stadien.

Methylenblau gegen Tau-Fibrillen?

2008: Erste Ergebnisse vorgestellt

Professor Dr. Claude Wischik von der Universität Aberdeen, ebenfalls Tau-Experte, und Mitbegründer der Firma TauRX hatte bereits Ende der 80er Jahre eher zufällig festgestellt, dass ein Tropfen Methylenblau die Tau-Fibrillen in einem Teströhrchen zum Verschwinden brachte. Im Rahmen der „Alzheimer’s Association International Conference (AAIC)“, dem jährlich stattfindenden weltgrößten Fachtreffen zur Alzheimer-Krankheit, stellte er 2008 seine aktuellen Ergebnisse vor.

Demnach soll Methylenblau die veränderten Tau-Proteine angreifen und das Fortschreiten der Krankheit stoppen. Die Auswertung seiner Studie an Menschen mit leichter und mittelschwerer Alzheimer-Krankheit erbrachte, dass der Zustand bei drei von vier Patienten stabil blieb oder sich sogar verbesserte. Diese Ergebnisse waren in der Fachwelt umstritten und sind bis heute nicht publiziert worden, dennoch zeigte Claude Wischik sich damals optimistisch, dass nach weiteren größeren Studien bereits 2012 ein Medikament verfügbar sein könnte.

2012: Die Forschungen gehen weiter

Mitte 2012 informierte der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) auf seinem Internetauftritt, dass Methylenblau gegen Alzheimer derzeit in Phase-II-Studien erprobt würde. „Erste Studien legen zwar eine Wirksamkeit nahe, die aber aus Zweifeln am Studienaufbau angezweifelt wurde; daher wird erst eine besser durchgeführte Studie Klarheit bringen“. Im Herbst 2012 berichtete die Ärzte-Zeitung, dass für 2013 eine Phase-III Studie zum Wirkungsnachweis von Methylenblau geplant ist, an der auch acht bis zehn Forschungszentren in Deutschland teilnehmen sollen.

Auf den Seiten von clinicaltrials.org, einem Angebot des amerikanischen National Institutes of Health, sind heute fünf Studienorte in Deutschland aufgelistet, die sich mit der Erforschung von Methylenblau bei Alzheimer befassen, darunter die Charité Universitätsmedizin Berlin. Unter Leitung von Dr. Oliver Peters werden dort derzeit Probanden für eine Phase-II Therapiestudie der Firma TauRX rekrutiert. An der klinischen Studie zur Sicherheit und Verträglichkeit von Methylenblau können Alzheimer-Patienten im Alter von bis zu 90 Jahren teilnehmen. Angekündigt werden weitere Studien, in denen die Einnahme über einen längeren Zeitraum erfolgen soll.

2013: Aktuelle Ergebnisse zu Mechanismus und Wirkung

Die aktuellsten Ergebnisse kommen aber vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen und vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn. In einer Kooperation beider Einrichtungen wurde die genaue Funktionsweise des Methylenblaus auf Tau erforscht. Ein Team um Professor Markus Zweckstetter publizierte jetzt, dass Methylenblau bestimmte Molekülgruppen ausschaltet, die für die Bindung zwischen den Tau-Proteinen verantwortlich sind. Zudem funktioniert der Wirkstoff als Abstandshalter zwischen den Proteinen. Die neuen Erkenntnisse könnten in die Herstellung modifizierter Formen von Methylenblau und die Entwicklung von Therapien einfließen. Neben Methylenblau gibt es noch andere Substanzen, die die Aggregation des Tau-Proteins behindern. „Eine Schlussfolgerung unserer Studie ist sicherlich, dass es verschiedene Wege gibt, um die pathogene Aggregation des Tau-Proteins zu stören“, so die Einschätzung der beteiligten Wissenschaftler.

Professor Brandt, Leiter der Abteilung Neurobiologie der Universität Osnabrück, Tau-Experte und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der AFI schätzt die aktuellen Ergebnisse folgendermaßen ein: „In vielen Studien hat sich gezeigt, dass Methylenblau sehr unterschiedliche Effekte und eine Vielzahl von Wirkorten haben kann. Es wirkt auf Mitochondrien - die Kraftwerke der Zellen - beeinflußt Rezeptoren, induziert das Recyclingprogramm von Zellen und verhindert das Verklumpen verschiedenster Proteine. Ob bei diesem Netzwerk die Wirkung auf Tau eine wesentliche Rolle spielt ist unklar – eigentlich für den Patienten aber auch gleichgültig. Hier sind wissenschaftlich überzeugende präklinische und klinische Untersuchungen über die Wirksamkeit bei Alzheimer-Patienten gefragt, die bisher aber noch ausstehen.“


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