ein anker der erinnerung

21.12.2017

das weihnachtsfest bringt für mich immer ein ganz großes heimatgefühl mit sich. weihnachten hat viel mit ritualen und traditionen zu tun und ich liebe traditionen. alles soll, darf, kann oder – um ehrlich zu sein – MUSS so sein, wie ich es aus meiner kindheit in ostfriesland kenne. und dass, obwohl ich – seitdem ich selbst kinder habe – fernab meines elternhauses in meinem eigenen zuhause feiere. tradition ist mobil. tradition kann überall gelebt werden. tradition ist ein anker der erinnerung.

für mich als kind, jugendliche und erwachsene gehörte zu weihnachten neben der alljährlich identischen menüfolge auch meine oma. meine oma, die musiklehrerin war und die später, als sie im fortgeschrittenen stadium an alzheimer erkrankt war, ihre eigenen werke auf einer cd nicht mehr wiedererkannte. an weihnachten jedoch konnte sie trotz ihrer demenz noch sehr lange sehr groß auftrumpfen. weihnachtslieder spielten ihre warmen, weichen, perlmuttfarben manikürten, mit dicken adern durchzogenen und altersgefleckten hände wie im schlaf. auf der gitarre und auf dem klavier. hin und wieder mal eine falsche harmonie, die jedoch sogleich durch lautstärke zu übertünchen versucht wurde. es war herrlich amüsant!

dazu die vielen, vielen geschichten und anekdoten von früher. an weihnachten, wenn alle dann doch irgendwann zur besinnung kamen und besinnlich wurden, hatte auch ich als enkelin deutlich mehr muße, den erzählten erinnerungen zu folgen, deren texte ich im grunde mitsprechen konnte, weil ihr wortlaut identisch war. ich wäre eine brilliante souffleuse gewesen, jedoch arbeitslos, denn die geschichten meiner oma aus ihrer vergangenheit saßen.

manchmal überlege ich, wie es gewesen wäre, wenn wir damals schon alle paar sekunden auf unser smartphone geschaut hätten. für meine oma wäre es möglicherweise gar kein großer unterschied gewesen, falls es ihr überhaupt aufgefallen wäre. sie hat ohnehin meist gnadenlos weitererzählt. aber MIR wäre etwas entgangen, denn für mich war es eine wichtige persönliche erfahrung, mit ihr stundenlang auf dem sofa zu sitzen und sie einfach zu erleben. es war wunderbar, zu sehen und zu spüren, wie sehr sich jemand in gesellschaft wohlfühlt, wie gut es ihm tut nicht alleine zu sein. so schön war es, diese mutige alte dame gegen ende eines couragierten, aufregenden lebens glücklich zu sehen, ausgelassen. mit kleinen roten bäckchen vom kleinen gläschen eierlikör. ich bin ganz fest davon überzeugt, dass sich die weihnachtsfeste für meine alzheimerkranke oma auch wie heimat angefühlt haben, denn familie ist heimat und heimat tut gut. was für ein geschenk!

bleibt stark!

eure


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