Orientierungsprobleme bei Demenz
Menschen mit Demenz fällt es zunehmend schwer, sich zeitlich, räumlich und auch persönlich zu orientieren.
Anfangs sind es nur Kleinigkeiten: Jemand findet sich an einem neuen Ort nicht zurecht, erscheint am falschen Tag zum Termin oder erkennt einen entfernten Bekannten nicht mehr wieder.
Mit der Zeit nehmen die Schwierigkeiten zu: Betroffene verlieren das Gefühl für die Tageszeit, finden zu Hause nicht zur Toilette und erkennen irgendwann vertraute Gesichter nicht mehr.
Auf dieser Seite erfahren Sie, was hinter dem Verlust der Orientierung steckt und wie Sie Betroffene im Alltag unterstützen können.

Orientierungsverlust - was steckt dahinter?
Orientierungsstörungen sind ein typisches Merkmal von Demenzerkrankungen. Insbesondere bei Menschen mit der Alzheimer-Krankheit sind die räumliche Orientierung und das Zeitgefühl bereits früh beeinträchtigt.
Die genauen Ursachen dieser Störungen sind noch nicht abschließend geklärt. Die Forschung geht aber davon aus, dass Schädigungen in zwei wichtigen Hirnarealen eine wichtige Rolle beim schleichenden Verlust der Orientierung spielen:
- Der Hippocampus ist für das Speichern und Abrufen von Informationen zuständig. Er hilft zum Beispiel dabei, sich an Straßen, Gebäude oder andere Orientierungspunkte zu erinnern oder hilft, Entscheidungen zu treffen, wohin man als Nächstes geht. Ein geschädigter Hippocampus beeinträchtigt auch das Zeitgefühl.
- Der parietale Kortex (Scheitellappen) ist für die Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen (Sehen, Hören, Fühlen) zuständig. Er hilft uns unter anderem dabei, eine Vorstellung von einem Raum und den Objekten darin zu bekommen.
Orientierungsprobleme treten je nach Demenzform und -stadium in unterschiedlicher Ausprägung auf und können durch weitere Faktoren, wie zum Beispiel eine eingeschränkte Sehfähigkeit, verstärkt werden.
Neben der Schädigung der Gehirnareale selbst trägt auch die Beeinträchtigung der Informationsübertragung zwischen den Nervenzellen zum Orientierungsverlust bei.

So können sich Orientierungsprobleme im Alltag äußern
Menschen mit Demenz verlieren allmählich ihren "inneren Anker", der ihnen hilft, sich in ihrer Umgebung und in der Zeit zurechtzufinden. Auch wenn sich die Symptome ähneln, erleben die Betroffenen das "Nicht-mehr-fassen-Können" ihrer eigenen Realität ganz individuell. Bei Alzheimer ist zunächst der räumliche Orientierungssinn eingeschränkt, später kommen weitere Störungen hinzu:
- Räumlich: Betroffene verirren sich in ihrer Umgebung, selbst an Orten, die ihnen vertraut waren. Sie erkennen bekannte Wege nicht mehr oder wissen nicht, wie sie von einem Raum in den anderen gelangen.
- Zeitlich: Termine werden vergessen, der Tag und die Uhrzeit sind nicht mehr klar, und Handlungen wie das Zähneputzen werden mehrfach wiederholt. Die Fähigkeit, Ereignisse in die richtige Reihenfolge zu bringen, geht verloren.
- Situativ: In neuen oder ungewohnten Situationen sind die Erkrankten zunehmend überfordert. Schon einfache Probleme, wie beim Kochen eine gewohnte Zutat durch eine andere zu ersetzen, können Verwirrung und Stress auslösen.
- Personell: Im fortgeschrittenen Stadium der Demenz verlieren Betroffene den Bezug zu ihrer eigenen Biografie. Sie wissen nicht mehr, welchen Beruf sie ausgeübt oder wie viele Kinder sie haben. Später erkennen sie selbst vertraute Gesichter nicht mehr.

Was Menschen mit Orientierungsproblemen im Alltag hilft
Es gibt viele praktische Möglichkeiten, Menschen mit Demenz zu helfen, sich im Alltag besser zu orientieren:
- Räumliche Anpassungen: Eine klare Strukturierung der Wohnung, zum Beispiel durch farbliche Markierungen oder Schilder, kann Betroffenen helfen, sich besser zurechtzufinden. Dinge sollten möglichst immer am selben Platz aufbewahrt werden.
- Zeitliche Orientierungshilfen: Große, gut sichtbare Kalender und Uhren können zu Hause bei der Orientierung helfen. Manche Demenzerkrankte kommen auch gut mit einem Kalender in Buchform zurecht.
- Emotionale Verbindungen: Abstrakte Begriffe wie "Düsseldorf" oder "Oktober" werden von Menschen mit Demenz zunehmend schlechter verstanden. Oft erleicherten emotionale Verbindungen das Verständnis, wie "die Stadt, in der deine Tochter wohnt" oder "der Monat nach deinem Geburtstag".
- Feste Routinen: Regelmäßige Tagesabläufe, wie feste Mahlzeiten oder Aktivitäten, bieten Halt und geben Orientierung. Hilfreich sind auch jahreszeitliche Rituale, die Erinnerungen wecken und an Vertrautes anknüpfen.
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Realitätsorientierungstraining (ROT) als Therapiemaßnahme
Das Realitätsorientierungstraining ist eine in der aktuellen S3-Leitlinie "Demenzen" empfohlene Methode zur kognitiven Unterstützung von Menschen mit Demenz. Ziel des Trainings ist es, den Betroffenen durch regelmäßige Orientierungshilfen - wie Informationen über Zeit, Ort oder Personen - dabei zu unterstützen, sich in ihrer Umgebung besser zurechtzufinden. Dadurch fühlen sich die Betroffenen sicherer und können ihren Alltag besser bewältigen. Das Training kann sowohl von Fachkräften, als auch von Angehörigen durchgeführt werden.

Lesen Sie dazu auch unseren Ratgeber
Der Ratgeber Die Alzheimer-Krankheit und andere Demenzen beleuchtet neben der Alzheimer-Krankheit auch die vaskuläre Demenz, die Lewy-Körperchen-Demenz, die Frontotemporale Demenz und die Demenz bei Parkinson.
56 Seiten, 2023

Autorin
Dr. Anne Pfitzer-Bilsing
hat sich nach ihrem Studium der Biochemie an der Uni Düsseldorf während ihrer Doktorarbeit auf Amyloide spezialisiert. Seit 2024 leitet sie bei der AFI die Abteilung Wissenschaft.