Desorientierung bei Demenz
Menschen mit Demenz verlieren nach und nach die Fähigkeit, sich in ihrer Umgebung zurechtzufinden.
Anfangs sind es nur kleine Verwirrungen: Ein neuer Ort wirkt fremd, ein Termin wird verwechselt oder ein entfernter Bekannter nicht mehr erkannt.
Doch mit der Zeit werden die Probleme gravierender: Erkrankte wissen nicht mehr, ob es Tag oder Nacht ist, finden in der eigenen Wohnung den Weg zur Toilette nicht und erkennen irgendwann vertraute Gesichter nicht mehr.
Erfahren Sie hier, warum die Orientierung bei Demenz verloren geht – und wie Sie Menschen bei Desorienteriung unterstützen können.

2016 Hieronymus/Shutterstock
Warum tritt Desorientierung bei Demenz auf?
Desorientierung gehört zu den häufigsten Symptomen bei Demenz. Besonders bei der Alzheimer-Krankheit sind die räumliche Orientierung und das Zeitgefühl schon früh beeinträchtigt.
Die genauen Ursachen sind noch nicht abschließend geklärt. Die Forschung geht aber davon aus, dass Schädigungen in zwei Hirnarealen maßgeblich zum schleichenden Orientierungsverlust beitragen:
- Der Hippocampus speichert und ruft Informationen ab - etwa zu Straßen, Gebäude oder anderen Orientierungspunkten. Er hilft zudem, bei Entscheidungen, wohin man als Nächstes geht. Ist er geschädigt, leidet auch das Zeitgefühl.
- Der parietale Kortex (Scheitellappen) vearbeitet Sinneseindrücke, wie Sehen, Hören und Fühlen. Er ermöglicht es uns, Räume und Objekte darin zu erfassen. Schäden in diesem Bereich erschweren die räumliche Orientierung.
Wie stark Orientierungsprobleme auftreten, hängt von der Demenzform und dem Krankheitsstadium ab. Zusätzliche Faktoren wie eine eingeschränkte Sehfähigkeit können die Orientierung weiter erschweren.
Neben den Schäden in den betroffenen Hirnarealen spielt auch eine gestörte Informationsübertragung zwischen den Nervenzellen eine Rolle beim Orientierungsverlust.

Science Photo/Canva
So können sich Orientierungsprobleme im Alltag äußern
Menschen mit Demenz verlieren allmählich ihren "inneren Anker", der ihnen hilft, sich in ihrer Umgebung und in der Zeit zurechtzufinden. Auch wenn sich die Symptome ähneln, erleben die Betroffenen das "Nicht-mehr-fassen-Können" ihrer eigenen Realität ganz individuell. Bei Alzheimer ist zunächst der räumliche Orientierungssinn eingeschränkt, später kommen weitere Störungen hinzu:
- Räumlich: Betroffene verirren sich in ihrer Umgebung, selbst an Orten, die ihnen vertraut waren. Sie erkennen bekannte Wege nicht mehr oder wissen nicht, wie sie von einem Raum in den anderen gelangen.
- Zeitlich: Termine werden vergessen, der Tag und die Uhrzeit sind nicht mehr klar, und Handlungen wie das Zähneputzen werden mehrfach wiederholt. Die Fähigkeit, Ereignisse in die richtige Reihenfolge zu bringen, geht verloren.
- Situativ: In neuen oder ungewohnten Situationen sind die Erkrankten zunehmend überfordert. Schon einfache Probleme, wie beim Kochen eine gewohnte Zutat durch eine andere zu ersetzen, können Verwirrung und Stress auslösen.
- Personell: Im fortgeschrittenen Stadium der Demenz verlieren Betroffene den Bezug zu ihrer eigenen Biografie. Sie wissen nicht mehr, welchen Beruf sie ausgeübt oder wie viele Kinder sie haben. Später erkennen sie selbst vertraute Gesichter nicht mehr.

Cottonbro Studio/Canva
Was Menschen mit Orientierungsproblemen im Alltag hilft
Es gibt viele praktische Möglichkeiten, Menschen mit Demenz zu helfen, sich im Alltag besser zu orientieren:
- Räumliche Anpassungen: Eine klare Strukturierung der Wohnung, zum Beispiel durch farbliche Markierungen oder Schilder, kann Betroffenen helfen, sich besser zurechtzufinden. Dinge sollten möglichst immer am selben Platz aufbewahrt werden.
- Zeitliche Orientierungshilfen: Große, gut sichtbare Kalender und Uhren können zu Hause bei der Orientierung helfen. Manche Demenzerkrankte kommen auch gut mit einem Kalender in Buchform zurecht.
- Emotionale Verbindungen: Abstrakte Begriffe wie "Düsseldorf" oder "Oktober" werden von Menschen mit Demenz zunehmend schlechter verstanden. Oft erleicherten emotionale Verbindungen das Verständnis, wie "die Stadt, in der deine Tochter wohnt" oder "der Monat nach deinem Geburtstag".
- Feste Routinen: Regelmäßige Tagesabläufe, wie feste Mahlzeiten oder Aktivitäten, bieten Halt und geben Orientierung. Hilfreich sind auch jahreszeitliche Rituale, die Erinnerungen wecken und an Vertrautes anknüpfen.
- Mehr zum Thema Routinen lesen Sie hier.

Realitätsorientierungstraining (ROT) als Therapiemaßnahme
Das Realitätsorientierungstraining ist eine in der aktuellen S3-Leitlinie "Demenzen" empfohlene Methode zur kognitiven Unterstützung von Menschen mit Demenz. Ziel des Trainings ist es, den Betroffenen durch regelmäßige Orientierungshilfen - wie Informationen über Zeit, Ort oder Personen - dabei zu unterstützen, sich in ihrer Umgebung besser zurechtzufinden. Dadurch fühlen sich die Betroffenen sicherer und können ihren Alltag besser bewältigen. Das Training kann sowohl von Fachkräften, als auch von Angehörigen durchgeführt werden.

Lesen Sie dazu auch unseren Ratgeber
Der Ratgeber Die Alzheimer-Krankheit und andere Demenzen beleuchtet neben der Alzheimer-Krankheit auch die vaskuläre Demenz, die Lewy-Körperchen-Demenz, die Frontotemporale Demenz und die Demenz bei Parkinson.
56 Seiten, 2023

Autorin
Dr. Anne Pfitzer-Bilsing
hat sich nach ihrem Studium der Biochemie an der Uni Düsseldorf während ihrer Doktorarbeit auf Amyloide spezialisiert. Seit 2024 leitet sie bei der AFI die Abteilung Wissenschaft.