2010: „Molekularer Link“ gefunden
Prof. Dr. Thomas Bayer von der Universitätsmedizin Göttingen und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der AFI kann mit seiner Arbeitsgruppe einen „molekularen Link“, also eine Verbindung auf molekularer Ebene, zwischen Alzheimer und Krebs nachweisen. Dieser Link ist das Alzheimer-Protein „Amyloid-Vorläufer-Protein (APP)“.
„Bei Krebs fördert die zellschützende Funktion von APP das Wachstum von Tumoren. Hier findet sich eine Betonung der wachstumsfördernden Funktion von APP. Es tritt daher als pathologisch wichtiger tumorfördernder Faktor auf. APP schützt und unterstützt Krebszellen, die vor allem immer weiter wachsen wollen“, sagt Prof. Bayer. Bei der Alzheimer-Krankheit ist das genaue Gegenteil der Fall. Hier fehlt die zellschützende Funktion von APP. Prof. Bayer: „Bei der Alzheimer-Demenz scheint das Gleichgewicht zwischen schützender Funktion und giftiger Wirkung verschoben zu sein. Es überwiegt die toxische Funktion intraneuronaler Abeta-Peptide.“
2012: Eine interessante „Nebenwirkung“
Das Mittel Bexaroten, das zur Behandlung von Hautkrebs eingesetzt wird, sorgt im Februar 2012 für Schlagzeilen. Dr. Gary Landreth von der Case Western Reserve University in Cleveland/Ohio berichtet im renommierten Wissenschaftsmagazin „Science“ von der spannenden Entdeckung einer „Nebenwirkung“. Mit finanzieller Unterstützung der Bright Focus Foundation (BFF), einer US-Partnerorganisation der AFI, hat der Forscher herausgefunden, dass Bexaroten auch im Kampf gegen Alzheimer ein aussichtsreicher Kandidat ist.
Dr. Landreth und sein Team hatten genetisch veränderten Mäusen, die Symptome der Alzheimer-Krankheit aufweisen, den Wirkstoff verabreicht. Das Bexaroten war nicht nur in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, sondern es kurbelte dort auch die Produktion des körpereigenen Apolipoprotein E (ApoE) an. Der Wirkstoff beseitigte so die bei Alzheimer typischen Eiweißablagerungen aus Beta-Amyloid im Gehirn der Mäuse. Auch die kognitiven Fähigkeiten der Versuchstiere verbesserten sich.
2012: Framingham-Studie – Entweder Krebs oder Alzheimer
Prof. Jane Driver von der Harvard Medical School greift zwei Studien aus Chile auf. Dort war anhand von Beobachtungen aus Altenheimen erstmals ein inverser Zusammenhang zwischen Krebs und Alzheimer aufgefallen. Driver und ihre Kollegen überprüfen dies anhand von Daten, die im Rahmen einer Langzeitstudie erhoben wurden.
Die Erkenntnisse sind deutlich: Überlebende eines Krebsleidens erkranken zu über 30 Prozent seltener an Alzheimer als Gleichaltrige ohne Krebs. Frühere Forschungsarbeiten hatten bereits gezeigt, dass Nervenzellen im Gehirn von Alzheimer-Patienten durch Apoptose (programmierter Zelltod) sterben. Die Forscher vermuten, dass eine genetisch bedingte Neigung zur Apoptose Krebs entgegenwirken könnte, gleichzeitig aber neurodegenerative Erkrankungen befördert.
2013: BFF finanziert Bexaroten-Studie
Dr. Landreth und sein Team bleiben am Ball. Die Forscher wollen herausfinden, ob sich die Wirkung von Bexaroten auch im menschlichen Organismus entfalten kann. Dass die Nebenwirkungen durch die Zulassung von Bexaroten als Medikament gegen Hautkrebs bereits erforscht sind, spielt den Forschern dabei in die Karten.
Im Rahmen einer neuen Phase 1-Studie, welche die Bright Focus Foundation mit 250.000 Dollar unterstützt, wird mindestens 12 gesunden Probanden das Mittel verabreicht. Umfassende Tests sollen durch die Messung von Biomarkern im Nervenwasser der Studienteilnehmer eine grundsätzliche Wirkung beweisen. Anschließend könnte eine Phase 2-Studie mit Alzheimer-Patienten folgen.
2013: Doppelte Bestätigung der Framingham-Ergebnisse
Die Ergebnisse von Prof. Driver werden gleich von zwei groß angelegten Untersuchungen gestützt. Studienleiter Dr. Massimo Musicco vom Santa-Lucia-Krankenhaus in Rom wertet mit seinen Kollegen die Daten von über 200.000 über 60-jährigen Norditalienern aus. Die Wissenschaftler finden heraus, dass lediglich 161 Studienteilnehmer sowohl an Krebs als auch an Alzheimer erkrankt waren. Das Krebsrisiko der Alzheimer-Patienten war um 50 Prozent reduziert, während die Krebspatienten um 35 Prozent seltener an Alzheimer litten.
Auf eine noch größere Datenmenge können Dr. Laura Frain und ihr Team vom VA Boston Healthcare System zugreifen. Die Wissenschaftler untersuchen die Krankendaten von knapp 3,5 Millionen US-Veteranen und schlüsseln diese nach unterschiedlichen Krebsarten und ihrer Wechselwirkung mit der Alzheimer-Krankheit auf. Ihre Ergebnisse präsentierten sie auf der Alzheimer's Association International Conference: Die meisten Krebserkrankungen stehen mit einem reduzierten Alzheimer-Risiko in Verbindung – und zwar um 9 bis 51 Prozent. Dabei war das Risiko bei Patienten mit Leberkrebs am stärksten reduziert (51 Prozent geringer). Aber: Es gab auch Krebsarten, die nicht mit einem verringerten Risiko einhergingen oder sogar mit einem erhöhten Risiko verbunden waren: Dazu zählten Melanome, Prostata- und Darmkrebs.
Dr. Frain: „Insgesamt weisen diese Ergebnisse darauf hin, dass der schützende Zusammenhang zwischen den meisten Krebserkrankungen und Alzheimer sich nicht einfach durch die höhere Sterblichkeit von Krebspatienten erklären lässt. Es sind weitere Studien notwendig, um festzustellen, ob diese Ergebnisse therapeutische Auswirkungen für Alzheimer haben.“
Einschätzung von PD Dr. Oliver Wirths
Durch die Ergebnisse der neuen, groß angelegten Studien verdichten sich die Hinweise, dass es eine gewisse Wechselwirkung zwischen dem Auftreten einer Alzheimer Demenz und bestimmten Krebsarten gibt. Dadurch dass in den aktuellen Studien die Krebsdiagnoserate in Patienten mit später Alzheimer-Diagnose geringer war und umgekehrt, wird die Kritik an früheren Untersuchungen, dass Krebs- oder Alzheimer-Patienten einfach nicht lange genug leben, um die jeweils andere Erkrankung zu bekommen, entkräftet. Inwieweit sich aus diesen Beobachtungen neue therapeutische Möglichkeiten ergeben, muss in weiteren Studien geklärt werden.
Einen interessanten Ansatz hierzu stellt das Krebs-Medikament Bexaroten dar, das in einer Studie an genetisch veränderten Mäusen zu einer drastischen Abnahme der Alzheimer typischen Eiweißablagerungen und Verbesserungen der kognitiven Fähigkeiten führte. Vier unabhängige Gruppen haben aktuell weitere Ergebnisse zu Studien mit Bexaroten an Mausmodellen der Alzheimer Demenz veröffentlicht und konnten allerdings nur Teilaspekte der ursprünglichen Ergebnisse von Dr. Landreth bestätigen. Während es keine Veränderungen im Bezug auf die Alzheimer typischen Eiweißablagerungen gab, konnten die Verbesserungen der Verhaltensdefizite der Tiere ebenfalls belegt werden. Die zugrundeliegenden Mechanismen sind noch nicht verstanden und werden zurzeit intensiv - u.a. im Rahmen der neuen Phase 1-Studie von Dr. Landreth - untersucht, die dazu weitere wichtige Hinweise liefern kann.